Zu faul sorglos zu leben

Die Aussage von dem Chef der Agentur für Arbeit „Wer sorgenlos leben möchte, der muss sich berappeln und möglichst gut entlohnte Arbeit finden. [1]“ Ist zutiefst menschenverachtend. Sie impliziert, dass Menschen, welche in die Arbeitslosigkeit rutschen, einfach nur zu faul sind sorglos zu leben.

Es bedient das gängige Klischee von faulen Arbeitslosen, die in der sozialen Hängematte der Gesellschaft liegen. Doch gerade die aktuelle Pandemie zeigt doch, was uns fehlt, wenn wir nicht mehr arbeiten dürfen. Arbeit erfüllt mehr Funktionen als nur den Broterwerb. Erstens erzwingt sie eine feste Zeitstruktur. Zweitens weitet sie die Bandbreite sozialer Erfahrungen aus, die weniger emotionalisiert sind wie das Familienleben. Drittens ermöglicht sie die Teilhabe an kollektivistischen Zielsetzungen und Anstrengungen. Viertens ist sie status- und identitätsgebend. Fünftens fordere sie Regelmäßigkeit [2].

Ohne Arbeit verschmälert sich die Bandbreite unserer sozialen Erfahrungen, die weniger emotionalisiert sind wie das Familienleben. Wir verlieren die Teilhabe an kollektivistischen Zielsetzungen und Anstrengungen. Letztendlich geht es um unsere Identität [3].

Dabei wirkt die Arbeit wie Medizin. Eine Überdosierung führt zu Stress und fördert das Ausbrennen. Eine Unterversorgung führt zu Zweifeln. Gerade wenn die Arbeit fehlt, fühlt sich vieles sehr sinnlos an. Und doch wird immer wieder dir eingeredet, dass es deine Schuld ist, dass du in diese Arbeitslosigkeit abgerutscht bist. Du hättest dich einfach mehr berappeln müssen. Dass wir einen großen Niedriglohnsektor haben, indem selbst knapp 10% der Arbeitenden in Armut leben [4]. Uns wird das Märchen erzählt, dass jeder seines eigenen Glückes Schmied ist. Doch das stimmt schon in der Schule nicht. Schüler aus der Unterschicht haben es schwerer Leistungen zu vollbringen [5].

Gleichzeitig verlieren Gewerkschaften und Kirchen gesellschaftlich an Bedeutung, sodass Solidarität und Nächstenliebe schwinden. Viele Menschen unten schämen sich für ihre Situation und sie reden nicht gern darüber. Sie geben sich selbst die Schuld. Sie fühlen sich atomisiert und ohne Bindung zu anderen.

Die Propaganda des Märchens mit dem Glücksschmied verfolgt das einfache Selbstbild, dass die Menschen, in prekären Arbeitsbeschäftigungen einerseits die Hoffnung nicht verlieren und mit noch größerer Verachtung auf die Menschen ganz unten, also ohne Arbeit hinunterschauen, damit sie sich eben nicht zusammentun und gemeinsame Interessen gegen die da oben entwickeln. Die Wirtschaft hat Interesse an billigen Arbeitskräften. Der Staat hat Interesse an höheren Steuern [6]. Während die Menschen sich unten weiter streiten, bemerken sie nicht, dass Armut krank macht. Menschen aus der Unterschicht haben schon mit 45 Jahren die gleichen chronischen Beschwerden wie ein Mensch aus der Oberschicht, der 75 Jahre alt ist [7]. Zudem kostet Armut elf Jahre Lebenszeit. Armut lässt die Menschen also schneller altern und führt zu einem früheren Tod [8].

Wenn du unten bist, wird dein Selbstgefühl verletzt. Du fühlst dich sinnlos. Und weil du es immer hörst, glaubst du, dass du selbst schuld bist. Du hast dich einfach nicht genug berappelt. Ständig in der Angst, dass dein Hartz IV gekürzt wird oder wegen dem gesellschaftlichen Druck nimmst du dann eine Arbeit an, welche auch nicht besser bezahlt wird als Hartz IV. Dann kannst du dir wenigstens das Geld selbst einteilen und vor allem du zeigst, dass du nicht faul bist. Und solltest du einen Partner finden, dann wäre es schlecht, wenn ihr beide harzt, da ihr dann eine Bedarfsgemeinschaft seid und dadurch nur noch jeweils knapp 90% bekommt [9]. Dann ist es doch besser sich zu berappeln und eine beschissene Tätigkeit auszuüben, wo dich nicht verwirklichen kannst, keine Entscheidungen treffen und schlecht bezahlt wirst, oder [10]?

Weitere Informationen

[1] https://www.spiegel.de/wirtschaft/ba-chef-detlef-scheele-haelt-deutliche-hartz-iv-erhoehung-fuer-wenig-hilfreich-a-89e54b83-17de-476a-b61b-cc256b836c0f

[2] https://uberlaufer.wordpress.com/2020/10/17/latente-funktionen-von-erwarbsarbeit/

[3] https://uberlaufer.wordpress.com/2021/01/14/der-regenschirm-der-gerechtigkeit/

[4] https://www.zdf.de/dokumentation/zdfinfo-doku/arm-trotz-arbeit-ueberleben-mit-niedriglohn-102.html

[5] https://uberlaufer.wordpress.com/2020/11/09/barrieren-der-bildung/

[6] https://www.zdf.de/comedy/zdf-magazin-royale/zdf-magazin-royale-vom-23-april-2021-100.html

[7] http://kurse.fh-regensburg.de/kurs_20/kursdateien/L/rosenbrock_newph.pdf

[8] https://www.welt.de/wirtschaft/article159974495/Armut-kostet-den-Menschen-elf-Jahre-Lebenszeit.html

[9] https://www.hartziv.org/bedarfsgemeinschaft.html

[10] https://uberlaufer.wordpress.com/2021/02/11/arbeit-neu-gedacht/

Veröffentlicht von Überläufer

Jeden Tag um 17.00 wagt sich das Überläuferli wieder auf das Nussbaumparkett der Dekadenz. Wenn ihr tanzen wollt, zieht eure Schlittschuhe aus und genießt.

7 Kommentare zu „Zu faul sorglos zu leben

  1. Wir ganz unten dienen dazu, denen, die noch nicht dort sind, Angst einzujagen. Das ist unsere Funktion. – Im Übrigen haben mir gegenüber schon einige Jobcenter-Mitarbeiter offen zugegeben, dass sie Akademiker*innen nicht helfen können. Das sagt doch schon alles, ne?

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    1. Das ist sehr ernüchternd. Ich bin gerade wieder am kämpfen mit mir selbst, wieviel Idealismus kann ich mir leisten? Kann ich ohne Idealismus glücklich werden? Will ich ohne Idealismus glücklich werden?

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      1. Du stellst dir Fragen, die selbst Buddha überfordern würden😄Ohne Idealismus glücklich sein ist möglich, Menschen mit Arbeit sind ebenfalls nach einer Weile entweder nicht mehr glücklich oder nicht mehr idealistisch. Eins von beiden ist aber immer noch besser als beide nicht. Liebe Grüße vom „Faulenzerbett“ aus 🙂

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      2. Ja, es sind eben die Fragen, die mich zur Zeit beschäftigen. Und ich habe bisher noch keine Lösung. Es sind eben nur meine tiefsten Gedanken, die ich hier teile.

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