Der Sinnessucht entgegen

Ich habe heute den Spargel geholt, um das elfte Mal von 11 vorzubereiten. Ansonsten habe ich mich vom Rausch erholt. Gestern hatte ich zu tief ins Glas geschaut und mich mit Nachbarn getroffen. Es war mal interessant in einem neuen Umfeld zu agieren und doch habe ich wieder gemerkt, wie introvertiert ich bin. Ich rede gern über tiefgründiges, aber einfach so bedeutungslos herzufaseln, dafür fehlt es mir an Selbstsicherheit. Worüber sollte ich mich Unbekannten reden? Die Musik, die uns begleitete, empfand ich als furchtbar. Am Ende wurde noch etwas Nirvana gespielt, ansonsten kam nur solch komischer Scheiß und ich betrank mich währenddessen einfach mit Alkohol. Ich fühlte mich wie ein Außenseiter. Ich hatte nicht wirklich etwas zu den Gesprächen beizutragen. Ich bin doch immer noch ein Autist.

Eben kam ein Nachbar vorbei und er sagte, dass er wieder zu den Nachbarn geht, mit denen wir gestern gebechert hatten. Kurz überlegte ich, ob ich nicht auch dahin gehen sollte, aber ich hatte noch Besuch und ich möchte nicht zu aufdringlich sein. Ich wünsche mir eben, dass ich gefragt werde, ob ich mich nicht dazu setzen möchte und eben dies blieb aus. Ich sehne mich nach Anschluss und doch meine ich, dass ich mich zu wichtig nehme, wenn ich eine Extraeinladung mir wünsche. Aber ich finde es eben zu aufdringlich, wenn ich einfach so dahin gehe und dann wundere ich mich, wenn ich allein bleibe. Vielleicht sollte ich einfach meine Etikette hinterfragen und eben mehr auf den Tisch hauen, immerhin wurde mir gestern auch gesagt, dass es schön war, dass ich da war und doch habe ich so viel Selbstzweifel in mir. Ich frage mich, woher das einfach kommt. Ich versuche doch nur meinen Idealen zu folgen und doch meine ich, dass es nie reicht. Eigentlich sollte ich stolz auf mich sein, was ich alles erreicht habe, obwohl meine Startvoraussetzungen als Arbeiterkind alles andere als gut waren. Ich habe mein Studium erfolgreich abgeschlossen und habe trotz allem einen Beruf, in dem ich einigermaßen kompetent bin, auch wenn ich längst nicht zu all den Entscheidungen stehe, die für mich entschieden werden. Ich habe das Gefühl, dass mir sämtliche Entscheidungen auf der Arbeit abgenommen werden, da das äußerste Ziel nur die Gewinnmaximierung ist. Dass wir mit unserem Produkt auch Verantwortung haben und dass wir auch irgend wofür stehen, sollte in dieser kapitalistischen Gesellschaft nicht hinterfragt werden.

Überhaupt sollte ich versuchen mir nicht mehr die Sinnfrage zu stellen, sondern alles nur noch als Satire zu sehen: Wer die Musik bezahlt, der bestimmt, was gespielt wird. Einst war ich Idealist und nun ertappe ich mich, dass mir alles egal ist. Ich vergnüge mich einfach etwas an dem Geld, dass mir zugeworfen wird, um die Angst vor der eigenen Armut zu überwinden. Studiert hatte ich damals aus Wissensdurst und dem Bedürfnis das richtige zu tun und heute ist davon nur noch übrig, dass ich mir ein leckeres Essen nach dem anderen kaufe. Dazu verdünne ich mein Blut noch mit Alkohol. Wenn ich nüchtern bin, dann frage ich mich, ob es das ist, was ich von dem Leben erwarten kann und dann betäube ich mich mit anderen sinnlosen Beschäftigungen. Ich höre Musik und spiele Karten, während mir der Sand der Zeit zwischen den Fingern rinnt.

Veröffentlicht von Überläufer

Jeden Tag um 17.00 wagt sich das Überläuferli wieder auf das Nussbaumparkett der Dekadenz. Wenn ihr tanzen wollt, zieht eure Schlittschuhe aus und genießt.

5 Kommentare zu „Der Sinnessucht entgegen

  1. hahaaaa! Bei uns gibt es morgen immerhin zum 5. Mal Spargel.
    Frage: Inwiefern haben/hatten Arbeiterkinder schlechtere Startchancen? Geld dürfte nicht das Problem sein, da Arbeiter*innen in der Regel Gewerkschaftsmitglieder. Der Leistungsdruck und der Vergleich kann’s auch nicht sein, da man als studierendes Arbeiterkind (vermute ich mal) ein gewisses Ansehen in der Peer-group hat. Zudem hat man Arbeiterwerte, zB früh aufstehen etc., mit der Muttermilch aufgesogen. Oder irre ich mich, und es gibt Probleme, die mir als Nichtarbeiterkind einfach nicht einfallen?

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    1. Es fängt schon mit der Sprache an. Zu hause wurde ich kritisiert, weil ich zu akademisch rede und in der Schule wurde ich kritisiert, weil ich zu umgangssprachlich rede.

      Das führt dann eben dazu, dass du dich teilweise mit deinen Eltern entfremdest und gleichzeitig in der Schule schlechtere Noten bekommst.

      Und doch ist Geld ein Problem. Die Gewerkschaften sind nicht mehr stark.
      Dazu kommt dann noch die materielle Armut. Du trägst eben nicht die neue Mode und fällst bei deinen Mitschülern auf. Du bist auch dann wieder ein Sonderling. Das wieder führt zu Mobbing mit all seinen Schattierungen.

      Im Studium konnte ich es mir beispielsweise nicht leisten mit meinen Freunden in die Kneipe zu gehen, sodass man auch da weniger starke Verbindungen eingeht. Und wenn du das thematisierst, dann wird dir geraten, dass du ja mitkommen kannst in die Kneipe, aber nichts trinken musst.

      Heute etikettiere ich mich selbst: Ich habe die Musik für mich entdeckt und trage das auch in meinem Kleidungsstil zur Schau, sodass ich wieder Ablehnung erfahre, weil die Leute Angst haben vor Menschen, die harte Musik hören.

      Alle Netzwerke, die ich habe, musste ich mir selbst aufbauen. Ich konnte bei Problemen nicht zu meinen Eltern gehen und sie hatten ein Freund, der mir Nachhilfe geben konnte oder mir einen Job besorgen konnte.

      Und was die Peer-group angeht, wird es eben nicht gewürdigt, dass ich trotz allem studiert habe. Ich bin einfach ich. Und bei meinen Genossen bin ich einfach nur ein Akademiker und damit aus deren Sicht, genau wie sie. Sie sind um Divisertät bemüht, aber ich bin aus ihrer Sicht eben nur eine Akademikerin und nicht mehr. Und trotzdem habe ich es schwer in großen Runden zu sprechen, weil noch heute gefühlt die anderen immer so verschachtelt reden, dass ich mi blöd vorkomme, weil man gleich versteht, was ich sagen will und das dann auch gegebenenfalls widerlegt, obwohl aus meiner Sicht die Genossen viel öfter Blödsinn reden, indem sie beispielsweise behaupten, dass Männer Autos sind und darum bekämpft gehören. Unsere Lösung sei mehr Feminismus, aber sie sagen nicht was sie darunter verstehen und ich verliere die Lust mich da einzubringen.

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      1. Das mit dem heutigen „Feminismus“ ist auch für Akademikerkreise ein echtes Problem. Immer nur Begriffe, Benennungen, Deutungsmacht, Diskurse, wer sagt was zu wem, wer sagt wie zu was, und vor allem, wer sagt was. „Männer sind wie Autos…“, „nur Weiße sind Rassisten“(stimmt eindeutig nicht), „Menschen mit Menstruation“ (habe ich tatsächlich mal in einem Gesundheitstext gelesen – ähhhh, heißen diese Menschen nicht ‚Frauen‘? Weil es, glaube ich, noch nicht gelungen ist, Transfrauen, die vorher Männer waren, einen Menstruationszyklus einzubauen😄), alles nur Wörter, Wörter, laber, laber, laber und nochmals laber. Ändert an den Sachproblemen nicht das Geringste (Frauen verdienen weniger, Frauen machen Großteil der Care-Arbeit, äh, noch so’n Wort, regenerative Aufgaben hieß das früher) –

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      2. Ja, aber man fühlt sich dann besser, wenn man solche tollen Wörter benutzt, wobei mensch ja heute nicht mehr man sagt. Das ist auch immer das, was mich wieder abhält politisch aktiv zu werden, weil ich einfach mal über Lösungen sprechen möchte und mich nicht von Hunderstel in Tausendstel verlieren möchte.

        Sinnvoller finde ich eine einfache Sprache und es wird immer Menschen geben, die lieber den Mund aufmache und ihre Luftblasen absondern, ohne etwas zu sagen.

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