Ins Netz (XVII)

„Wenn Ihnen sonst noch etwas einfällt, dann zögern sie nicht mich anzurufen. Hier ist meine Visitenkarte. Ich bin rund um die Uhr zu erreichen.“, äfft Lindemann nach. „Sag mal, spinnst du? Du musst doch auch mal Feierabend machen. Du wirst nicht zum besseren Polizisten, wenn du dich so selbst verheizt.“

Kramer tut so, als ob er diese Bemerkung überhört hätte. „Peter, wo warst du solange? Ich habe mittlerweile die ganzen Verhöre allein durchgeführt.“

„Erst war ich richtig gemütlich kacken.“

„Und dann?“

„Dann habe ich nachgedacht.“

„Und dann?“

Kramer und Lindemann verlassen den Flur. Kramer drückt auf die Taste, um den Fahrstuhl zu rufen.

„Und dann?“, wiederholt Kramer.

„Dann war ich bei dem alten Imbiss. Weißt du noch, wie wir bei der Polizeiakademie waren?“

„Ja, das ist mittlerweile 14 Jahre her.“

„Richtig. Weil das Essen in der Kantine nicht geschmeckt hat, sind wir immer zu dem Imbiss gefahren. Damals mit dem Bus. Jetzt waren es mit dem Sportwagen nur fünf Autominuten.“

„Du hast also gegessen, während ich deine Arbeit gemacht habe?“

Die Fahrstuhltüren öffnen sich. Die beiden treten ein.

„Nein. Ich habe uns Hambürger geholt. Mit dreifach Käse, karamellisierten Zwiebel und Jalapeños. Denn mehr Käse ist…“

Lindemann wartet vergebens darauf, dass Kramer den Satz vervollständigt. Er fordert Kramer durch Gesten auf zu ergänzen.

„Denn mehr Käse ist…“, wiederholt Lindemann.

„… mehr gut.“, ergänzt Kramer genervt.

„Genau. Der Ostmann hat uns die Pause gestohlen und dann sollten wir uns diese zurückklauen.“

„Aber der Fraß ist voll ungesund.“

„Eben. Wenn ich gleich zu Hause bin, dann hat bestimmt Tina wieder so viel Grünzeugs vorbereitet mit lokalen Tomaten aus Bioanbau.“

„Und?“

Sie verlassen das Studentenwohnheim.

„Davon werde ich nicht satt.“

„Dann sage es ihr doch.“

„Habe ich ja schon mehrmals. Aber mit ihr kann man nicht reden.“

Lindemann holt zwei Plastiktüten aus dem Kofferraum seines Wagens. Kramer missfällt, dass Lindemann auf einen Behindertenparkplatz steht.

„Du hast den ganzen Tag nichts gegessen, dann brauchst du jetzt auch nichts. Sei überhaupt froh, wenn ich dir einen Salat gemacht habe. Die Biotomaten aus lokalem sind besonders gut für deine Manneskraft.“

Kramer ist beeindruckt von der guten parodistischen Einlage seines Kollegen.

„Komm, setzen wir uns auf die Bank.“

Kramer setzt sich widerwillig auf die Bank.

„Hier dein Hambürger mit dreifach Käse, karamellisierten Zwiebel und Jalapeños.

„Du parkst auf einen Behindertenparkplatz.“

„Und? Wir sind die gottverdammte Polizei. Wer soll uns anzeigen?“

Lindemann packt genüsslich seinen Hambürger aus und beißt hinein.

„Die Plastiktüten sind schlecht für die Umwelt. Über eine Million Tonne Verpackungsmüll sammelt sich über das Jahr bei den privaten Haushalten.“

„Erde an Kramer: Der Lindemann hat Ihnen einen Hambürger mit dreifach Käse, karamellisierten Zwiebel und Jalapeños ausgegeben.“

„Davon werden nur 46% stofflich verwertet. Das ist eine Katastrophe für den Planeten.“

„Klappe zu, Wikipedia.“

Kramer packt seinen Käsebürger aus. Er beginnt zu essen.

Lindemann haut Kramer auf die Schulter.

„Weißt du noch, genau hier saßen wir vor 13 Jahren und ich habe dir von meinem Schwarm Tina erzählt.“

Kramer zuckt mit den Schultern.

„Natürlich weißt du das noch. Du merkst dir ja sonst alles.“

Kramer zuckt mit den Schultern.

„Und da hattest du mir erzählt, wie du deine Ex kennengelernt hattest. Und dann hattest du mit Tipps gegeben. Die waren ja sehr erfolgreich.“

Kramer beißt sich auf die Unterlippe.

„Was machst du heute noch, Casanova?“

Kramer zuckt mit den Schultern.

„Bestimmt wieder im Netz versauern und dann wieder morgen spät zur Arbeit kommen. Aber keine Sorge, der Ostmann ist morgen ja nicht da.“

Kramer nickt.

„Weißt du, Kramer. Manchmal beneide ich dich. Du kannst einfach dir Schmuddelfilme ansehen. Mich hatte neulich die Tina erwischt. Alter, da war aber der Teufel los. Wir hätten zu wenig Sex hatte sie gesagt.“

„Aha.“

„Kannst du dir das vorstellen?“

Vor Kramers Auge öffnete sich das Questmenü. ,Rede doch mal mit ihm von Mann zu Mann und sage mir dann, was ihm fehlt.‘ Er schiebt den Gedanken beiseite.

„Kramer, ob du dir das vorstellen kannst, habe ich dich gefragt?!“

Kramer zuckt mit den Schultern.

„Da brauchst du nicht mit den Schultern zu zucken. Das ist aber so. Soll ich dich mit dem Auto mitnehmen und dich zu Hause absetzen?“

„Aber das Klima.“

„Aber das Klima. Der kleine Umweg wird jetzt auch das Klima nicht verderben.“

Als sie aufgegessen haben, steigen sie in das Auto. Wegen dem lauten Schweigen macht Lindemann das Radio an. Im Radio läuft Highway to Hell von AC/DC.

Veröffentlicht von Überläufer

Jeden Tag um 17.00 wagt sich das Überläuferli wieder auf das Nussbaumparkett der Dekadenz. Wenn ihr tanzen wollt, zieht eure Schlittschuhe aus und genießt.

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